Zu den verstörendsten religiösen Aussagen, besonders zur Osterzeit, gehört die oft unreflektierte Aussage: „Christus ist für unsere Sünden gestorben.“ Zum einen befremdet, dass mit „uns“ alle Menschen gemeint sind, auch die, die rund 2000 Jahre nach Jesus leben, also auch du und ich. Zum anderen befremdet der vermutlich dahinterstehende Sühnegedanken. Eine Schuld müsse gesühnt werden durch etwas, das wehtut. Im Falle von Christus sühnt einer, der selber ohne Schuld ist, stellvertretend die Schuld anderer.
In den Schriften des Paulus findet sich der Gedanke vom Tod Jesu für die Sünden der Menschen tatsächlich vielfach: 8Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Röm 5, 8)
32Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? 33Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. 34Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: Der auferweckt worden ist, er sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. (Röm 8, 32-34)
14Denn die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. 15Er ist aber für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr für sich leben, sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde. (2 Kor 5, 14-15)
9Denn Gott hat uns nicht für das Gericht seines Zorn bestimmt, sondern dafür, dass wir durch Jesus Christus, unseren Herrn, die Rettung erlangen. 10Er ist für uns gestorben, damit wir vereint mit ihm leben, ob wir nun wachen oder schlafen. (1 Thess 5, 9-10)
Ist der Tod Jesu am Kreuz wirklich als Sühnetod zu verstehend? Oder ist das Christentum nicht gerade die Überwindung dieses Denkens? – Klarheit kann bringen, sich anzusehen, warum Jesus gekreuzigt wird.
1Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. (Joh 13, 1)
Jesus bleibt nicht halbherzig in der Mitte des Weges stehen: ein wenig soziales Engagement, Eintreten für die Menschenrechte …, soweit es aus seiner Komfortzone heraus halt möglich ist. Er möchte bis zur Vollendung gehen. Er sieht sich damit in Übereinstimmung mit dem Willen seines Vaters. Das ist nicht der Wille, den Sohn leiden zu sehen, sondern der Wille, dass dieser den Weg zu Ende geht.
Der Weg Jesu bestand konkret darin, Menschen aus den Verstrickungen in Schuld und Sünde, die sie schier gefangenhielten, herauszuführen, Wege aufzuzeigen, wie das gehen kann, wie dies funktionieren kann, bis heute. Der Weg aus der Gefangenschaft von Schuld und Sünde erfordert zweierlei: Die Bereitschaft des Betroffenen/der Betroffenen zur Umkehr und die Bereitschaft der Mitmenschen, das zuzulassen, indem sie von ihren stereotypen Vorurteilen abrücken und Freiheit ermöglichen. (z. B. Lk 19, 1-10: Der Zöllner Zachäus in Jericho; Joh 8, 1-11: Jesus und die Ehebrecherin)